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4 Min. Lesezeit Zweiter Weltkrieg

Hey, Prenzlauer Berg mit Backfisch, Bomben, Haushaltssperre

Hey, Prenzlauer Berg mit Backfisch, Bomben, Haushaltssperre
Schönhauser Allee 1945 (Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons)

Ihr Lieben,

ich muss mich entschuldigen. Spätestens Mittwoch solltet ihr diese Ausgabe im Postfach haben. Doch dann ist die Arbeit an dem Antrag für die finanzielle Förderung leicht eskaliert, um die wir uns gerade bewerben, damit loky* möglichst bald seine ganze Schönheit entfalten kann. (Ganz recht, dies hier ist nur die Eisbergspitze).

Dieses Werk hat mittlerweile Buddenbrooksche Ausmaße – wenn wir davon ausgehen, dass Thomas Mann in den Anhang noch einen plausiblen Finanz-, Personal- und Meilensteinplan für das Familienunternehmen gepackt hätte. Und hoffen, dass Philipp und ich mehr unternehmerisches Geschick an den Tag legen als die Gang aus Lübeck.

In jeden Fall hat es meinen Arbeits- und Zeitplan durcheinandergebracht, was nun dazu führt, dass dieser Newsletter heute an diesem überraschend aufgetauchten Berliner Feiertag erscheint, mit dem wir dem 80. Jahrestag des Weltkriegsendes gedenken.

Wieder eines dieser Ereignisse, die unsere Vorstellungskraft stark fordern. Denn der Endkampf um Berlin, der ist hier passiert.

Die Einschusslöcher in den Fassaden, deren ausführliche Beschreibung zur Folklore um den Prenzlauer Berg der Wendezeit gehört, mögen hinter Putz und Wärmedämmung verschwunden sein.

Doch wenn wir heute auf der Werneuchener Wiese eine Schuldrehscheibe betreiben können, dann liegt das daran, dass die Waffen-SS Ende April 1945 die dort stehenden 50 Wohnhäuser sprengte. Im Volkspark Friedrichshain befand sich eine Flak-Stellung. Von dort aus sollte das Schussfeld frei sein Richtung Kniprodestraße, über die die Rote Armee Richtung Innenstadt vordrang.

Wenn unsere Kinder in der Lychener, Pasteur- oder Seelower Straße auf Spielplätzen zwischen Brandmauern schaukeln, dann hat genau dort ein Wohnhaus den Bombenkrieg nicht überstanden.

Wenn wir in unseren Altbauten in den Keller gehen und die Eigentümer:in es mit der Kernsanierung nicht zu genau genommen hat, finden wir an den Wänden Pfeile oder Beschriftungen, "Zum Luftschutzraum", mancherorts auch potentielle Durchbrüche zum Nachbarhaus, für den Fall der Verschüttung.

Neben mir auf dem Schreibtisch liegt gerade ein Buch, das ich vor 12 Jahren für die Prenzlauer Berg Nachrichten rezensiert habe: "Backfisch im Bombenkrieg: Notizen in Steno." Es sind die Kurzschrift-Übungen der damals jugendlichen Brigitte Eicke aus der Immanuelkirchstraße, die jeden Tag ihren Alltag in Prenzlauer Berg notierte.

01.05.1945: "Dienstag (Nationaler Feiertag des deutschen Volkes). Als Feuerwerk erlebten wie eine äußerst schweren Angriff, jetzt sind die Russen bald hier."

02.05.1945: "Um 3 Uhr kam Frau Schöbs in den Keller und sagte: Der Führer ist tot, der Krieg ist aus. Ich konnte nur einen Schrei ausstoßen. (...) Früh, als es hell wurde, ging die Plünderei los. (...) Mutti war im Bekleidungsamt in der Greifswalder Straße, da haben sie alle unheimlich Stoffe und Pelze rausgeholt und wir auch hin."

04.05.1945: "Wir haben uns heute auf die Socken gemacht (...). Es lagen viele Tote auf der Straße und aufgedunsene Pferdeleiber, es sieht furchtbar aus, am Hain entlang. Wir mussten immer Umwege machen, weil die Russen in der Elbinger (heute Danziger Straße, Anm. Red.) die Leute aufgehalten haben und man musste mitarbeiten auf der Straße."

06.05.1945: "Mutti und Tante Walli sind zweimal zum Flakturm zum Friedrichshain, Wasser holen. (...) Es ist schon eine Plagerei mit dem Wasserschleppen. Es beginnt jetzt eine Nazi-Verfolgung, wie damals bei den Juden. Was wird mit mir werden?"

12.05.1945: "Abends habe ich bis 11 Uhr gelesen Schiff ohne Liebe. Die Verdunkelung ist aufgehoben und Licht gibt es auch schon wieder."

Und so weiter. Backfisch im Bombenkrieg eben.