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4 Min. Lesezeit Bildung

Schulplatzmangel: Reise nach Grunewald

Schulplatzmangel: Reise nach Grunewald
Die 12-jährige Jodi hat keinen Gymnasiumsplatz in Prenzlauer Berg oder Umgebung bekommen

Auf Prenzlauer Berger Gymnasien ist nicht genügend Platz für alle. Wer Pech hat, bekommt eine Schule zugeteilt und muss täglich weit fahren – zum Beispiel 30 Kilometer hin und zurück nach Grunewald.


Von der Winsstraße in Prenzlauer Berg bis in die Herbertstraße in Grunewald sind es rund 15 Kilometer mit dem Auto, 30 hin und zurück. Das ist pro Strecke eine halbe Stunde Fahrtzeit bei guter Verkehrslage, weiß der Routenplaner. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dauert es eine Dreiviertelstunde, von Tür zu Tür wäre man sicher eine Stunde unterwegs. Macht hin und zurück zwei Stunden am Tag.

 

Kein näherer Schulplatz verfügbar

Wozu die Reiseberechnungen in die Herbertstraße? Die 11-jährige Jodi* aus dem Winskiez soll ab September genau dort zur Schule gehen, in die 7. Klasse des Rathenau-Gymnasiums. Die Schule wurde dem Mädchen zugeteilt, denn: Jodi hat auf keiner ihrer angegebenen Wunschschulen einen Platz bekommen. Am liebsten wäre sie aufs Käthe-Kollwitz-Gymnasium gegangen, die auch ihre 15-jährige Schwester Lena* besucht. Primo-Levi- und Rosa-Luxemburg-Gymnasium waren ihr Zweit- und Drittwunsch. Jodi hat einen Notendurchschnitt von 1,7, eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen Kinder bis zu einem Schnitt von 2,2.

Für die Eltern ist die Zukunftsprognose Grunewald eine Tragödie. Mutter Marie* sorgt sich um das Wohl ihrer Töchter: „Ich habe Angst, die Kontrolle über deren Leben zu verlieren“, sagt Marie. Mit einer Tochter auf einem Prenzlauer Berger Gymnasium und einer anderen in Grunewald würden sich alle Zeitabläufe in der Familie verschieben. Alles unter einen Hut zu bringen sei unmöglich, sagt Marie. „Wie soll Jodi Freundschaften zu anderen Kindern entwickeln und pflegen, wenn ihre Wohnorte so weit entfernt sind?“

 

„Das hat mit Kindeswohl nichts mehr zu tun“

„Es wäre ein exorbitanter Planungsaufwand“, sagt Vater Manuel*. Er müsste die Tochter jeden Morgen nach Grunewald fahren und anschließend ins Büro nach Adlershof, außerdem sei er beruflich häufig unterwegs. Der Arbeitsdruck sei auf dem Gymnasium sowieso schon hoch, ein so langer Schulweg und die damit zusammenhängenden Probleme findet er unzumutbar. „Das hat mit Kindeswohl nichts mehr zu tun“.

Schulstadtrat Torsten Kühne sieht das anders und verweist – natürlich – aufs Berliner Schulgesetz: „Schulwege bis zu einer Stunde im Oberschulbereich sind nach gängiger Rechtssprechung nicht zu beanstanden.“ Eigentlich hätten Geschwisterkinder einen vorrangigen Aufnahmeanspruch, nich aber am Käthe-Kollwitz-Gymnasium, so Kühne weiter. Weil es sich um ein Gymnasium mit besonderer pädagogischer Prägung handelt, gibt es für die Aufnahme eine eigene Verordnung, erklärt Kühne. Außerdem entscheide dort auch nicht der Notendurchschnitt über die Aufnahme. Stattdessen erfolge sie „nach der niedrigsten Notensumme aus den Fächern Mathematik, Deutsch, Naturwissenschaften und erste Fremdsprache, wobei Mathematik doppelt gewertet wird.“

 

Altbekanntes Schulplatz-Poker

Was deutlich wird: Entscheidend bei der Vergabe ist für das Schulamt vor allem der Erstwunsch. „In Pankow wurden insgesamt 1312 Schulplätze an Gymnasien eingerichtet“, erklärt Kühne. „Es gab 1306 Bewerber mit Erstwunsch an ein Gymnasium. 206 SchülerInnen konnte der Erstwunsch nicht erfüllt werden.“

Zweit- und Drittwünsche werden also nur berücksichtigt, wenn an den Schulen noch Plätze frei sind – was aufgrund der angespannten Situation vor allem in Pankow eher unwahrscheinlich ist. So ging es Jodi beim Primo-Levi und dem Rosa-Luxemburg-Gymnasium, wie ein Schreiben des Schulamts belegt.

Über das Schulplatz-Poker, das sich aus dieser Situation ergibt, haben wir schon im Vorjahr berichtet. Möglicherweise hat die Familie aus dem Winskiez also einfach falsch gepokert und den „Fehler“ begangen, die tatsächlichen Prioritäten ihrer Tochter bei der Anmeldung anzugeben.

 

Nervenzehrendes Abwarten

Die Familie hat gegen den zugewiesenen Schulplatz in Grunewald Widerspruch eingelegt und sich einen Anwalt genommen. Seit dem Ablehnungsbescheid Mitte Mai habe es von Seiten des Schulamts keine neuen Erkenntnisse gegeben, sagt Manuel. Stattdessen sei nervenzehrendes Abwarten angesagt. Was aus dem Widerspruch wird, oder ob Jodi vielleicht doch noch einen Schulplatz in Wohnortnähe bekommen könnte, ist zum Sommerferienbeginn immer noch unklar. Falls alles nichts hilft, gibt es für den Vater zwei Optionen: Entweder Jodi geht nach Grunewald und versucht im nächsten Jahr auf ein Pankower Gymnasium zu wechseln, wenn manche Schüler vielleicht wegen schlechter Noten abgehen. Oder die Familie klagt gegen das Vergabeverfahren des Schulamts. „Ich will mir später nicht vorwerfen, ich hätte nicht alles versucht“, sagt Manuel.

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Wie es mit Jodi weiterging:

Kurz nach Erscheinen unseres Artikels im Juli hat Jodi, von der diese Geschichte handelt, doch noch einen Gymnasiumsplatz in Prenzlauer Berg bekommen. Seit Beginn des Schuljahrs geht sie auf das neue Gymnasium am Europasportpark.

Insgesamt haben 184 Schülerinnen und Schüler in Pankow keinen Platz auf einer ihrer Wunschschulen bekommen. Das geht aus einer Anfrage der Grünen Stefanie Remlinger im Abgeordnetenhaus hervor. 164 Schüler werden deshalb an anderen Schulen in Pankow unterrichtet, 20 der neuen Siebtklässler müssen tatsächlich bis nach Grunewald fahren, zum Walter-Rathenau- und zum Hildegard-Wegscheider-Gymnasium.

117 Familien hätten gegen die Zuteilung einer weiterführenden Schule Widerspruch erhoben, heißt es in der Antwort auf die Anfrage weiter. Daraufhin konnte für 60 von ihnen ein Platz auf einer anderen als der zugeteilten Schule gefunden werden. In der siebten Klasse seien jetzt alle Plätze im ganzen Bezirk belegt.

(Update: ka, 6.10.2017)

 

* Die Familie möchte unerkannt bleiben, die Namen sind von der Redaktion geändert

 

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